Objektiv betrachtet ist die Sache klar: Mein Smartphone ist nur ein Gerät wie jedes andere auch. Es ist ein Ding neben unzähligen anderen. Ich habe erst angefangen anders darüber zu denken, nachdem ich es einmal verloren habe. Denn es fühlte sich nicht so an, als wäre mir ein beliebiger Gegenstand abhanden gekommen, den ich einfach ersetzen kann. Mit einem Mal fehlte mir ein wesentlicher Bestandteil dessen, was ich bin und was ich mache. Es fühlte sich so an, als könnte ich als Person nicht mehr die Dinge tun, die ich tun will.

Dieses Ereignis löste bei mir einige Überlegungen aus: Wie kommt es, dass wir zu Gegenständen wie einem iPhone oder gegenüber von Unternehmen wie Apple so enorm positive Emotionen haben? Gerade über Geräte wie Smartphones wurde schon öfter gesagt, dass sie zu einem Teil unseres Körpers geworden sind, dass sie ihn verlängern und erweitern.

Ich würde sagen, dass man inzwischen sogar einen Schritt weitergehen muss: Das iPhone ist zu einem Teil unserer Persönlichkeit, unseres Ich geworden. US-Forscher fanden ein neues Krankheitsbild, das mit dieser Einsicht zusammenhängt – die Nomophobie. „Nomo“ ist kurz für „no mobile“. Es ist also die Angst, ohne Smartphone zu sein. Der Ursprung dieser engen, emotionalen Bindung zu einem Produkt oder einer Marke ist meiner Überzeugung nach mit der Customer Journey zu erklären.

Es gibt Nutzer, die emotional mit ihrem Smartphone verwachsen und es als Teil ihres Daseins wahrnehmen.

Marken als Quasi-Religion

Apple ist nicht nur eines der erfolgreichsten, teuersten und beliebtesten Unternehmen der Welt – Apple ist Kult. Wenn neue Produkte auf den Markt kommen, stehen die Anhänger des Apple-Kultes seit Jahren zum Teil viele Stunden in langen Schlangen von Wartenden, um unter den ersten zu sein, die das neue iPhone in Händen halten.

Meine Erklärung für dieses Verhalten: Apple hat es verstanden, die Customer Journey so zu gestalten, dass die emotionale Bindung an das Unternehmen extrem stark ist. Die enge Band zwischen Unternehmen und Kunde ist sogar relativ unabhängig von dem konkreten Produkt. Denn interessant ist, dass Erfolg von Apple anhält, obwohl die Smartphones aus Cupertino seit geraumer Zeit nicht mehr die technisch Besten auf dem Markt sind.

Warum ist das so? Jeder, der einmal den Selbstversuch wagt und von einem System in ein anderes wechselt, wird sehen was passiert. Der Wechsel von einer iPhone- oder iPad-Generation zur nächsten ist kinderleicht. Aber: Von einem Apple Smartphone zu einem, auf dem Googles Android läuft, gestaltet sich im Vergleich dazu ziemlich kompliziert.

Multiplikation der Touchpoints

Ich denke, dass die Erklärung eindeutig ist: Apple beherrscht perfekt das Spiel mit den vielfältigen Touchpoints zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden. Wer sich im Apple-Universum bewegt, genießt die vielen Vorteile und praktischen Nutzen dieser vielen Verbindung. Musik, Podcasts, Daten in der Cloud, Nachrichten, Kalender, Mails, Kontakte, Fotos etc. – für all diese Anwendungen, die mit zum Teil höchst privaten Inhalten verknüpft sind, gibt es perfekt komponierte, kostenlose Anwendungen von Apple.

Hardware und Software sind so intelligent verknüpft und auf eine langfristige Bindung zwischen Apple und seinen Anhängern ausgelegt. Dass gerade dieses Rezept aufgeht, stellt in den letzten Jahren vermehrt auch der Autohersteller Tesla unter Beweis. Die Software ist der Schlüssel, um optimale Beziehung zum Kunden herzustellen.

Apple hat jedoch nicht nur die Touchpoints multipliziert, sondern auch perfektioniert. Kaum ein anderes Unternehmen steckt so viel Energie beispielsweise in die Verpackung von Produkten. Das neue Genre von “Unboxing-Videos” geht auf diese Kunst des Verpackens, die Apple mitbegründet hat, zurück. Der Trend dieser Videos wird laut Google-Trends etwa ab der Markeinführung des ersten iPhones zum Massenphänomen.

Das Auspacken des Produktes wird ein Teil der persönlichen Erfahrung zwischen Kunden und Unternehmen und steigert die emotionale Bindung. Auch dieses Phänomen lässt sich bei Tesla beobachten. Zahlreiche Besitzer stellen Videos, in denen sie ihre Begeisterung ausdrücken, ins Netz und machen damit gratis Werbung für den Autohersteller.

Rumor-Seiten: Warum brodelt es in der Gerüchte-Küche?

Ich habe die Beispiele Apple und Tesla zwar nicht willkürlich gewählt, aber es sind bei weitem nicht die einzigen Unternehmen, bei dem die Customer Journey so emotional geprägt ist. Bemerkenswert ist beispielsweise auch die Bindung zwischen Kamera-Herstellern und ihren Kunden. Die verschiedenen Lager, die sich zwischen Sony, Fuji oder Canon ansiedeln, können sich über die Zukunft der Fotografie in die Haare bekommen, wenn sie sich über die jeweils „bessere“ Marke streiten. Auf Rumor-Seiten wird jedem noch so kleinen Gerücht über Neuentwicklungen, Patente oder Testergebnisse nachgegangen.

Solche Rumor-Seiten gibt es für zahlreiche Produkte und verschiedenen Sparten – man denke nur an die unzähligen Mutmaßungen über neue Merkmale des neuen Samsung-Smartphones. Während Werbung zunehmend nervt, zeigt sich hier ein gegenteiliges Phänomen: Die „Fan-Boys“ und Anhänger von Marken und Produkten, die sich freiwillig und voller Hingabe ihren favorisierten Firmen widmen.

Das heilige Auto und die Macht der Marken

Insbesondere in Deutschland ist das Auto ein Gegenstand von besonderer Bedeutung, der weit mehr über meine Persönlichkeit auszusagen vermag als beispielsweise die Marke meiner Hemden, meines Kühlschranks oder die Wahl meines Lieblingsautors. Einige Marken nehmen im Leben vieler Menschen einen sehr hohen Stellenwert ein. Eine Marke wird dazu genutzt, um ein Statement abzugeben. Das Image bestimmter Marken kann einen Teilaspekt im Leben von Menschen abbilden. Wer einen Audi fährt, wirkt automatisch wie jemand, der es zu Etwas im Leben gebracht hat.

“Die Marke meines Autos sagt mehr über mich als die meiner Hemden oder mein Lieblingsautor.“

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Mir liegt es fern, das in irgend einer Weise zu verurteilen – was für mich interessant ist, ist vielmehr die Frage: Was machen die einen Unternehmen, dass sie zu einer Marke werden, mit der sich die Menschen identifizieren und was machen andere Unternehmen im Vergleich dazu nicht?

Die Marke als Kunstwerk

Die zentrale Schlussfolgerung aus meinen tagtäglichen Beobachtungen ist: Marken werden zu Kunstwerken. Längst werden in Museen nicht mehr nur alte Meister ausgestellt, sondern auch Design-Klassiker. Es werden sogar für bestimmte Produkte eigens Museen gebaut wie etwa das Porsche-Museum, in dem die Autos wie Kunstwerke präsentiert werden. Auch auf Messen, in Flagship-Stores und in den „Erlebniswelten“ wie denen von BMW oder VW werden die Produkte wie Kunstobjekte auf Podesten oder in Vitrinen ausgestellt. Ähnlich wie Kunstwerke bieten Produkte heute eine Projektionsfläche und die Unternehmen bemühen sich, Identifikationsplattformen zu erstellen.

“Marken werden zu Kunstwerken – Produkte werden in Museen und Flagship-Stores ausgestellt.“

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Die Customer Journey und der Ausdruck unserer Persönlichkeit

Meiner Überzeugung nach unterscheiden sich diese Unternehmen in einem wesentlichen Punkt. Sie haben ein wesentlich anderes Verständnis von der Customer Journey. Ich halte vor allem den emotionalen Aspekt bei der Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen für den entscheidenden. Mit einem Produkt verbindet sich mehr als nur seine Funktion: Eine Marke verkörpert ein Lebensgefühl.

Im gesteigerten Maße gilt das gesagte für Produkte der digitalen Welt. Durch ihre Interfaces und durch die Vernetzung sind sie dafür prädestiniert, mehr zu werden, als nur ein Gebrauchsgegenstand. Sie werden zu einem wesentlichen Teil unserer Persönlichkeit.

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